Masterpiece – Jessie J in der TonHalle (Konzertbericht)

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2019 scheint das Jahr der Popsternchen zu werden, betrachtet man die beachtliche Anzahl von angesagten Sängerinnen, die die bayerische Landeshauptstadt beehren: Jesse Glynne, P!nk, Rita Ora und viele mehr. Jessie J ist da fast schon eine Exotin, da die Britin bereits rund zehn Jahre massiv im Musikgeschäft vertreten ist und neben ihren großen Hits „Price Tag“ und „Domino“ auch auf ein sehr reifes und ausgefeiltes Pop-Album namens „R.O.S.E.“ 2018 zurücksehen kann. Textlich sprengt sie die nichtssagenden Konventionen, musikalisch geht sie vor allem live auf ordentlich rockigen Kurs. Am 15. April 2019 feiert sie Tourauftakt in der TonHalle München.

Zuvor darf aber erst einmal der junge Liedermacher ELI um 20 Uhr das Publikum unterhalten und wählt dafür seine selbstgeschriebenen, äußerst international anmutenden Lieder. Allgemein klingen nicht nur die Lieder so, als könnten sie von Ed Sheeran oder Singer/Songwriter-Aufsteiger Dean Lewis sein, auch in den Ansagen wechseln sich die englischen und deutschen Sätze ab – kein Wunder, entstammt der erst 21-jährige Sänger deutsch- und englischsprachigen Wurzeln. Ein wenig mehr Individualität und Abgrenzung in der eigenen Musik wären dennoch wünschenswert, wenngleich er seine Lieder sympathisch und gekonnt darbietet. Mit „Change Your Mind“ findet sich sogar ein Stück in der Setlist, das das Publikum kennt – und alsbald fleißig das Handy zückt.

Setlist: Body Talk / Amsterdam / Breakeven (The Script cover) / Change Your Mind / Headspace / Gonge Girl / …Baby One More Time (Britney Spears cover) / What If

Die Anspannung ist groß, die Hitze ebenso, aber: Jessie J lässt sich Zeit. Erst um 21:15 Uhr erlischt das Licht und das Intro beginnt. Alsbald schießt eine Front an Handys nach oben – man hätte es gleich wissen müssen. Die Mitfilm-Plage sollte sich auch bis zum bitteren Ende durchziehen, wenngleich es tatsächlich ein paar denkwürdige Momente gibt, die so einzigartig bleiben, dass man sie wohl am liebsten festgehalten hätte. Der Start dabei ist schon außergewöhnlich genug – eine Piano-Version von „Who’s Laughing Now“, gefolgt von einer neuen Version von „Masterpiece“. Das Programm selbst ist unbekannt – das München-Konzert ist Auftakt der neuen Show, die unter dem Namen „The Lasty Tour“ läuft. Lasty, so hieß der langjährige Security-Guard, der die Sängerin seit dem Durchbruch immer begleitet hat. Im Dezember ist er verstorben – und Jessie für einige Wochen von jeglichen Social Media-Kanälen verschwunden. Ihrer Rückkehr folgte die Tour-Ankündigung.

Eigentlich wollte sie gar nicht auf Tour gehen, war absolut ausgebrannt. „Aber Singen macht mich und euch glücklich“ – deshalb habe man sich entschieden, eine Best-Of-Show zu spielen und viele neue Versionen der Songs auszuprobieren. Wesentlich rockiger gestaltet sich der gesamte Auftritt, teilweise fühlt man sich bei „Sexy Lady“ in richtige Pop-Punk-Stimmung hineinversetzt. Die vor allem jungen, weiblichen Fans gucken etwas verdutzt – aber jubeln ihrer Sängerin dann doch zu. Kein Wunder, liefert die Londonerin doch eine glasklare und spitzenmäßige Gesangsleistung ab – die fehlenden Background-Sängerinnen kompensiert sie problemlos, allgemein ist sie bestens bei Stimme und hält mehr als deutlich die Fahne für das absolute Live-Singen, auch im plastikhaltigen Pop, nach oben. Wobei die Versionen ihrer Lieder, gespielt von ihrer starken Band, rein gar nichts mit den elektronischen Original-Fassungen zu tun haben. Würde man es nicht wissen – man wäre auf einem Soul- und Rock-Konzert gelandet.

Letztendlich hat aber wohl noch nie eine Sängerin, zudem dieser Größenordnung, die Worte Kommunikation und Interaktion auf der Bühne so ernst genommen wie Jessie J. Gute 30 Minuten verbringt sie nur mit Ansagen, starken Worten über Body Positivity und Plädoyers für Selbstvertrauen. „Verwundbarkeit bedeutet, dass wir schwach sind? Verwundbarkeit bedeutet, dass wir echt und menschlich sind!“, ruft sie in die Menge. Ansonsten bemüht sich die Britin tatsächlich um echte Konversationen, diskutiert mit einem Yoga-Lehrer, freut sich über den Nebenjob eines Fans in einem Escape Room, lässt sich durchgehend von den Becherträgern der TonHalle ablenken und kontert auf gefühlt jeden Einruf. Jemand wünscht sich Singen mit geschlossenem Mund? Dann wird das kurzerhand bei „Flashlight“ umgesetzt, was für ein kicherndes Publikum sorgt. Jemand möchte die Nummer von Jessie? Sie beginnt, sich mit der Person zu unterhalten über sein Leben. Fan Mona wünscht sich mit einem Schild, einmal „Masterpiece“ mit ihr zu singen? Sie quatscht begeistert mit dem nervösen Fan und gibt ihr dann letztendlich ein zweites Mikro, lässt ihre Band das Lied zum zweiten Mal am Abend spielen und macht nicht nur Mona, sondern die gesamte Halle sehr glücklich.

Vom spontanen Singen eines Geburtstagsständchens bis hin zum Scherzen über Label-Maschinen – die Liste der sympathischen Ansagen der Sängerin sind schier endlos und geben dem Publikum absolut das Gefühl, bei etwas dabei zu sein, das nicht nur heruntergeleiert, sondern absolut besonders ist. Anstatt einer Zugabe verdunkelt sich nur kurz der Saal und Jessie sagt, dass jetzt die Zugabe kommt, aber sie mag die Art und Weise davon nicht. „Von der Bühne gehen und neben der Bühne im Dunkeln warten? Das ist weird“. Die letzten Lieder? Natürlich „Domino“ und „Price Tag“. Überglücklich gehen Jessie J und das Publikum gegen 23 Uhr nach über 100 Minuten Konzert getrennte Wege. Bis zum nächsten Mal!

Setlist: Who’s Laughing Now / Masterpiece / Do It Like A Dude / Real Deal / Not My Ex / Nobody’s Perfect / It’s My Party / Sexy Lady / Wild / Masterpiece / Easy On Me / Big White Room / Stand Up / Queen / Flashlight / Bang Bang / Who You AreZugaben: Domino / Price Tag

Bericht: Ludwig Stadler