„Du bist nicht der Held dieser Geschichte“ – „Hotel Calypso“ im Akademietheater (Kritik)

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Ein Abend, der dem Aufenthalt in einem Urlaubshotel inklusive Handtücher und Informationsbroschüre zur aktuellen Weltlage gleichkommt. Die Problematik des Generationenkonflikts in der Klimakrise, serviert auf einem Silbertablett, garniert mit Anekdoten der Konsumkritik und verfeinert mit Details der griechischen Mythologie. „Hotel Calypso“, geschrieben von Regisseur David Moser mit Motiven nach dem antiken Heldenepos „Odyssee“ von Homer, feierte am 8. Mai 2019 Premiere im Akademietheater der Theaterakademie August Everding und kann mit aktuellen Themen und guten Schauspielern mehr als überzeugen.

©Jean-Marc Turmes

Der Held Odysseus, der Listige, der Zerstörer Trojas, ist vor einer gefühlten Ewigkeit bei der Nymphe Calypso gestrandet. Ohne seine Schiffe und ohne seine Männer. Seine jahrelange Irrfahrt hat im „Hotel Calypso“ ein jähes Ende gefunden und ob er jetzt schon seit sieben oder doch 70 Jahren in der 5-Sterne-Grotte zu Gast ist, kann niemand so genau sagen – die Zeit scheint still zu stehen. Aber die Welt außerhalb Calypsos Höhle dreht sich weiter und genau hier fängt es an problematisch zu werden, denn Odysseus muss dringendst auf seinen Heimatinsel zurückkehren und die sich dort wie Tauben ausbreitenden Freier seiner Frau Penelope zurückdrängen, ehe sie die Insel zu Grunde richten. Aber Odysseus will nicht gehen, er will überhaupt nichts mehr. Seine heldenhafte Existenz hat sich auf eine leere Hülle in flauschigem Bademantel und langen Unterhosen reduziert. Er ist nicht länger ein Held, die Geschichte nicht länger ein Heldenepos. Stattdessen versucht Calypso mit allen Mitteln ihren Dauergast loszuwerden: sie erinnert ihn an seine glorreiche Vergangenheit, an seine Frau und seinen Sohn, die zuhause auf ihn warten, und das griechische Volk, das dringend einen Helden braucht, welcher sie von den verschwenderischen Freiern befreit. Aber Odysseus will nicht und so muss Calypso selbst heldenhafte Taten begehen.

©Jean-Marc Turmes

Egal ob Kapitalismuskritik oder Angst vor Gentrifizierung, Fremdenfeindlichkeit oder Leugner der Klimakrise – diese junge Produktion lebt und begeistert durch ihre Aktualität. In Verbindung mit dem mythologischen Umfeld der griechischen Antike ergibt sich eine Parallelwelt, die den Zuschauern mehr als einen Denkanstoß geben kann. Die Freier auf Odysseus Heimatinsel handeln mit ihrem Leben im Überfluss und Verschwendung ähnlich wie die imperialistischen Großmächte und scheinen genauso unaufhaltsam und unbelehrbar. Poseidon, der Gott des Meeres, ist wütend aufgrund der Zerstörung und Verschmutzung der Meere und droht mit dem Anstieg des Meeresspiegels. Einen zürnenden Gott zu besänftigen erscheint hier genauso aussichtslos wie den Klimawandel aufhalten zu wollen. Die Verehrung des wirtschaftlichen Wachstums als göttergleicher Rettungsring wirkt gleichsam lächerlich wie die blinde Fixierung auf eine zukünftige Rettung, frei nach dem Deus ex Machina-Prinzip, wenn es um Handlungsaufforderungen an die älteren Generationen geht. Wer den Weltuntergang nicht mehr miterlebt, hatte auch keine Schuld daran. Aber es bleibt die Frage nach dem Helden, bei Calypso ebenso wie in unserer Realität. Wenn Odysseus kein Held sein kann, wenn er vielleicht auch niemals einer war, wer rettet dann die Welt?

©Jean-Marc Turmes

Die inhaltliche Tragödie lässt den Schauspielern das Wasser nicht bis zum Hals, aber bis zu den Knöcheln stehen. Im ästhetisch ansprechenden Bühnenbild von Amelie Sabbagh kämpfen die fünf Darsteller – vier davon Studenten der Theaterakademie – gegen das Element, welches 2/3 der Erdoberfläche bedeckt. Vorsichtshalber werden schon vor Beginn der Vorführung Handtücher an das Publikum in den vorderen Reihen ausgeteilt – es wird nass. Wilhelm Beck (Odysseus) verbleibt während der gesamten Zeit stumm und spielt mit seinem Körperausdruck einen abgekämpften und motivationslosen gefallenen Helden. Gleichzeitig schafft er mit seinem passiven Spiel eine perfekte Grundlage für Agnes Decker, Leonard Dick, Marie Domnig und Mariann Yar, welche sich in ihren zeitgleichen Versionen von Calypso mit vollem Körpereinsatz und beeindruckenden darstellerischen Leistungen gegenseitig überbieten, während sie versuchen, die Welt zu retten. Trotz durchgehend nasser Füße können alle vier die Zuschauer in ihrem Bann ziehen, jede mit einer andere Seite der vielschichtigen Nymphe, und doch ergeben sie eine Einheit, gegen die nicht einmal die Wassermassen der Ägäis anzukommen scheinen.

Diese studentengeführte Inszenierung ist durch ihren Informationsgehalt ebenso wie durch ihre Unterhaltsamkeit mehr als sehenswert. Wer junges, gutes und frisches Theater schätzt, sollte sich diese Produktion unbedingt ansehen. Ein amüsantes Schauspiel, das mit viel Humor und feuchten Füßen die Probleme unserer Gegenwart thematisiert und somit viel erlebnisreicher ist als ein Luxusurlaub.

Kritik: Anna Matthiesen