Im Zug durch die eigene Egozentrik – „Faserland“ im Residenztheater (Kritik)

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Gerade erst geht das zweite Wochenende mit dem Theaterparcours des Residenztheaters zu Ende, schon werden die nächsten Personen in das Foyer gelassen, um den Soloabenden beizuwohnen, die seit diesem Wochenende endlich wieder das Staatsschauspiel mit Leben erfüllen. Während am Lastenaufzug und bei der Schönen Aussicht bereits die ersten Kleinigkeiten laufen, werden acht Interessierte hintergründig in die Theaterkantine geleitet, denn dort gibt Niklas Mitteregger an diesem Sonntag, 14. Juni 2020, eine Solofassung von Christian Krachts legendären Roman „Faserland“ zum Besten. Die rund 50 Minuten sind ein Dauerfeuer-Monolog – und dabei besser als manch pompöses Ensemble-Machwerk.

© Lucia Hunziker

Denn um den Zusehenden zu begeistern, braucht es letztendlich zwei Anker: ein starker Text und ein starker Schauspieler. Beides ist definitiv gegeben und so wird bereits der legendäre Einstieg in „Faserland“, glücklicherweise wörtlich übernommen, zur absoluten Freude, wenn diese so ironischen, aber dennoch wenig greifbaren Worte zum Leben erwachen – oder immerhin in der Figureninterpretation von Niklas Mitteregger. Der sieht den Ich-Erzähler als schmierigen Schnösel im hellblauen Hemd und beiger Hose, wie ein Klischeebild des BWL-Studenten. Und außerdem, ein netter Zufall (?), erinnert das Auftreten und auch das Aussehen so intensiv an den jungen Kracht selbst, wie er sich in wenigen Interviews inszeniert. Dabei ist die Frage, wie viel Kracht denn im Protagonisten steckt, eine der meistdiskutiertesten in der Popliteraturwissenschaft – szenisch umgesetzt gerät sie aber in den Hintergrund. Es zählt nur diese egozentrische, arrogante, menschenverachtende und andere und erst recht nicht sich selbst liebende Person, auf dem Weg ins eigene Verderben. Und über die Landkarte gen Süden.

Natürlich ist es nicht möglich, den zwar kurzen und schmissigen 176-Seiter vollumfänglich wiederzugeben, dennoch sind die Kürzungen an den richtigen Stellen und die wesentlichen Informationen bleiben erhalten. Letztendlich treibt es ihn durch Sylt, Hamburg, Frankfurt, Heidelberg, ganz kurz nach München, zum Bodensee und abschließend an den Zürichsee, bei dem er in ein Boot steigt und davon fährt. Die kleinen Anspielungen Krachts, wie den auf ein Grab kackenden Hund, werden zwar ausgespart, würden aber im Kontext dieses Abends sowieso überfluten. Der Roadtrip fordert vollste Aufmerksamkeit, aber Mitteregger schafft es so gut, diesen namenlosen Ich-Erzähler zu verkörpern, dass man auch zum Schluss noch jede Minute gespannt zuhört. Am Ende nützen all die Bahnmagazine und Balistos nichts – Rollo begeht Suizid, der Protagonist gerät kurz aus der Bahn und zieht weiter. Und irgendwann kommt er an. Schon bald.

Kritik: Ludwig Stadler