Schillers Vorlage, Kušejs Großprojekt – „Don Karlos“ im Residenztheater (Kritik)

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Seit der Premiere am 17. Mai 2018 läuft im Residenztheater Schillers Don Karlos“. Von Intendant Kušej groß angekündigt, ist dies sein großes Prestigeprojekt vor dem Verlassen des Theaters am Ende der nächsten Spielzeit. Zwar wird es im Herbst mit „Der nackte Wahnsinn eine letztendliche Abschluss-Inszenierung geben, fraglos ist das aber der große Abschluss-Klassiker.
Mit dem Text von Friedrich Schiller, einem riesigen Drehscheiben-Bühnenbild, hochkarätiger Besetzung und einer Dauer von vier Stunden, ist die Inszenierung das tatsächlich.

© Matthias Horn

Mit bedrohlicher Musik (Bert Wrede) startet der Abend bereits extrem stark, indem zwei Drohnen sich vom Bühnenboden erheben und ihre Scheinwerfer durchs Publikum streifen lassen. Von der Seite schleppen zwei Männer in schwarz einen schreibenden Gefangenen, der in ein Loch im Bühnenboden geworfen wird; erst das Platschen, das anschließende Gurgeln verrät, dass sich darin ein Wasserbecken verbirgt – dystopische Stimmung. Die Ästhetik der Dunkelheit zieht sich durch das ganze Stück, düster die Aussichten für Don Karlos (Nils Strunk), den verzweifelt liebenden Sohn des spanischen Königs Don Phillip (Thomas Loibl). Düster, weil Karlos ehemals Verlobte (Lilith Häßle) von seinem Vater zur Frau genommen wurde. Seine tugendhafte Liebe wird so zum Frevel. Doch versucht er verzweifelt, ihr nach zu gehen.
Unterdessen schweben seinem Freund aus alten Zeiten, Marquis von Posa (Franz Pätzold), ganz andere Pläne vor: er will Karl überzeugen, die Region Flandern, unter spanischer Herrschaft, wieder in Frieden und Einklang zu bringen. So spinnen sich die Fäden, genau der Dramenvorlage Schillers entsprechend. Jede Figur verfolgt ein Eigeninteresse und zuweilen ist nicht einmal dem Zuschauer klar, wer gerade auf wessen Seite steht.

© Matthias Horn

Da, ebenfalls ganz nach Vorlage, alle Akte und Szenen einzeln gespielt werden, verdunkelt sich die Bühne (Annette  Murschetz) unzählige Male und gibt abwechselnd das blaue Dornenkabinett, den Henkersbrunnen oder den Königspalast mit imposant schimmernden Kronleuchter frei. Trotz dieser häufiger Wechsel bleibt die düstere Spannung erhalten. In der Teilung der Bühne steckt viel Überlegung, so werden, wann immer eine Szene zwischen den markanten Spitzen spielt, wichtige Entscheidungen oder geheime Ansprache getroffen.
Auch das Kostüm (Heide Kastler) ist wohl durchdacht.  Mit Anzug und Pumps bewegt sich der Dresscode der Figuren zu Beginn des Abends im 21. Jahrhundert. Erst nach einer Weile realisiert man: Die Kostüme gehen in der Zeit zurück! Im letzten Akt werden Pluderhosen und lange Kleider getragen. Hier wurde also auf allen Ebenen sehr genau konzipiert, sogar die Farben sind wichtig. Alle Kostüme sind lediglich schwarz, das einzig Farbige also sind die blauen Spitzen des Kerkers und Strunks Oberkörper, denn wann immer Karl seine Gefühle offenbart, zieht er sein T-Shirt aus. Ein Running-Gag von Kušej?

© Matthias Horn

Auch die Schauspieler beeindrucken: Marcel Heuperman wirkt als intriganter Berater Alba unnahbar und richtiggehend beängstigend. Meike Drosde mimt mit Ebolie eine Schlüsselfigur. Zwar spielt sie die zurückgewiesene und verletzte Hofdame stark und überzeugend, steht aber dennoch hinter den Kollegen zurück, die schlichtweg NOCH präsenter sind. Pätzold schafft den Spagat zwischen politisch zielstrebig und dennoch loyal als Freund des Prinzen, und hinterlässt vor allem gegen Ende bleibenden Eindruck. Häßle kommt die schwierige Aufgabe zu, eine undurchdringliche Königin zu spielen, ohne dabei teilnahmslos zu wirken. Dies gelingt ihr ausgezeichnet. Obwohl sie keine mitreißenden Textpassagen, sondern stets zurückhaltende Szenen hat, wird dem Zuschauer klar, in welcher schwierigen Situation sich Elisabeth befindet. Auch Loibl liefert, wie gewohnt, auf hohem Niveau ab und gibt den unnahbaren und mächtigen, schlussendlich aber doch fehlbaren König. Abschließend: Don Karlos, Nils Strunk, verkörpert genau das, was Schillers Vorlage bietet: den tragischen Helden, den Sturrkopf, der verzweifelt Liebende, den Intriganten. Alle Facetten schafft er zu verkörpern und reißt den Zuschauer mit.

Da sich das Stück so nah an die Textvorlage hält, sind die vier Stunden eine Herausforderung für die Zuschauer. In den letzten zwanzig Minuten stöhnt der eine oder andere auf, denn trotz Bühnenbild, Licht und Musik: die Handlung, mit allen Irrungen und Wirrungen, zieht sich dann doch etwas. Für das großartige Schauspiel und das Gesamtpaket von Regie, Bühne, Besetzung – eben allem, sind die vier Stunden aber hinterher wieder vergessen und der Abend ist seine Zeit Wert!

Kritik: Jana Taendler