Der Wert der Freiheit – Filmpremiere und Podiumsdiskussion mit Überlebendem von NS-Verbrechen im Geschwister-Scholl-Heim

Im Jahr 1944 muss der damals achtjährige Efstathios Chaitidis mit ansehen, wie ein Großteil der Bevölkerung seines Heimatdorfes von einer Einheit der SS ermordet wird; mit derartigen Massakern an Zivilisten geht das deutsche Militär gegen den ungebrochenen bewaffneten Widerstand seitens der griechischen Bevölkerung vor. Chaitidis‘ Vater, selbst Partisanenkämpfer, nimmt den Jungen mit ins Gebirge, was diesen vor dem Schicksal seiner Mutter, Großeltern und Geschwister bewahrt; von den Deutschen in einer Kirche eingeschlossen verbrennen die 335 Bewohner des Dorfes Pyrgoi bei lebendigem Leib. Der Vater wird kurz nach Kriegsende im Rahmen innergriechischer Kämpfe zwischen Kommunisten und Republikanern hingerichtet. Er hinterlässt seinem Sohn den Wunsch, dieser möge ein Studium aufnehmen – was Chaitidis schließlich auch tut, aber nicht in Griechenland, sondern, ausgerechnet, in Deutschland, genauer: in München.

© Bayerischer Rundfunk

Und wie so viele Studenten seit den 1960ern findet er schließlich Unterkunft im Geschwister-Scholl-Heim in der Maxvorstadt, wohin er, heute, am Abend des 28. November 2019 zurückkehrt, um zusammen mit zahlreichen Heimbewohnern der Premiere eines Dokumentarfilms über seine, Chaitidis‘ Lebensgeschichte beizuwohnen. Der Film „Der Wert der Freiheit“ entstand im Rahmen der BR-Serie „Zeuge der Zeit“ und vollzieht anhand ausgiebiger Interviews mit Chaitidis dessen Biographie nach, eingebettet in die zeitgeschichtlichen Hintergründe und ausgehend von jenem einschneidenden Gräuelerlebnis. Dabei steht jedoch nicht allein Chaitidis‘ unfreiwillige und schicksalsschwere Verwicklung in die Verbrechen deutscher Soldaten im zweiten Weltkrieg im Fokus, sondern auch sein eigenes politisches Engagement: Von Deutschland aus setzte sich der Zahnmediziner tatkräftig für ein demokratisches Griechenland, sowie für die Organisation ausgewanderter Griechen ein.

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Im Anschluss an die Filmvorführung im Saal des Wohnheims findet zunächst eine Podiumsdiskussion mit Herrn Dr. Chaitidis selbst, der Regisseurin Despina Grammatikopulu, sowie dem Vorstandsmitglied des Trägervereins des Wohnheims und heute als Moderator fungierendem Prof. Dr. Peter von Rüden statt; im Anschluss werden Fragen aus dem Publikum beantwortet.
Beachtlich ist, wie im gefassten Narrativ des Mannes, der ins ‚Land der Mörder‘, so eine wiederholt von Anwesenden aufgegriffene Wendung, auswanderte und dort auch verblieb, die Dimension des Tragischen, der unsühnbaren Schuld und der unverzeihlichen Grausamkeit sich auflöst im Einzelschicksal und seinem wechselvollen, schweren, doch auch lichten Verlauf, in der relativen Lebbarkeit, die auf der einen Seite so überlebenswichtig ist, wie sie andererseits beklommen macht, indem sie die Grenze zum Bereich des Unmenschlichen, zum absolut Bösen als vager in Aussicht stellt, als sie sein sollte – eine Tatsache, die diese Veranstaltung mit einem so einzigartigen und klarsichtigen Zeitzeugen zu einer wichtigen Maßnahme gegen zumal aktuelle Tendenzen der Verharmlosung, Relativierung, des Vergessens angesichts der schwindenden Zahl der noch lebenden Überlebenden der Verbrechen der Nationalsozialisten macht.

Der Film „Zeuge der Zeit: Der Wert der Freiheit“ wird am 2. Februar 2020 um 21:00 Uhr auf ARD-alpha ausgestrahlt werden.

Bericht: Tobias Jehle