„All that Jazz“ – „Chicago“ am Deutschen Theater

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Mord, Korruption und Sex-Appeal – das zwielichtige und lasterhafte Milieu der ‚roaring twenties‘ bietet den Stoff für eine der populärsten Broadway-Produktionen aller Zeiten! Mit Chicago feiert nun innerhalb weniger Monate der zweite Klassiker mit Musik und Texten der beiden Musical-Ikonen John Kander und Fred Ebb seine Premiere am Deutschen Theater.

Nachdem im März bereits die Neuinszenierung von Cabaret das Münchner Publikum zu begeistern wusste, soll nun mit „Chicago – Das original Broadway-Musical“ ein weiteres Highlight präsentiert werden.

© Jeremy Daniel

Das Stück, das mit Auszeichnungen geradezu überhäuft wurde, zeigt sich in dieser Tournee-Variante der BB Promotion als perfekt inszeniertes Tanz- und Musikspektakel, das selbst ohne echtes Bühnenbild von Anfang bis Ende der Inszenierung zu wirken und zu faszinieren versteht. Während im Vordergrund auf einer eher schmalen Spielfläche das Ensemble der Sänger und Tänzer performt, gehört der tiefe Raum der Bühne der elfköpfigen Big Band, die auf einer begehbaren Rampe mit legendären Nummern wie „All that Jazz“ oder „Razzle Dazzle“ ein regelrechtes Jazz- und Swing-Feuerwerk entfacht. Die Atmosphäre und das Nachtleben der wilden 20er-Jahre scheint wieder aufzuleben und ihrem zweifelhaften Charme kann man sich kaum entziehen.

Der grandiosen Orchestrierung stehen die Choreografien, die auf Bob Fosse zurückgehen, in nichts nach. Der Platz, auf dem der Cast agieren darf, wird dabei optimal genutzt und trotz der äußerst sparsamen Ausstattung, die sich auf wenige Requisiten beschränkt, wird jeder Song und jede Sequenz der Handlung expressiv und bis zur kleinsten Pose formvollendet in Szene gesetzt. Die zahlreichen Schauplatzwechsel werden zusätzlich durch eine entsprechende Wortkulisse zum Ausdruck gebracht, erfordern aber dennoch auch ein Mindestmaß an Fantasie. Gefängnis, Gerichtssaal und Vaudeville-Bühne entstehen ganz ohne Bühnenbild vor allem, wenn man tief in das Stück eintaucht. Aber darauf lässt man sich nur allzu gerne ein!

© Jeremy Daniel

Der Plot ist so spannend wie eh und je und sorgt zudem mit gut gesetzten Gags für zahlreiche Lacher; vor allem aber hinterfragt er das Beziehungsgeflecht von Moral, Medien und Justiz durchaus kritisch und wird so zur beißenden Satire. Im Zentrum der Handlung steht die wegen Mordes an ihrem Liebhaber angeklagte Sängerin Roxie Hart, die mit Hilfe ihres mit allen Wassern gewaschenen Anwaltes Billy Flynn zum Star der Chicagoer Klatschpresse avanciert. Der Advokat verwandelt das Verbrechen in ein geradezu herzzerreißendes Rührstück und Roxie, die das Spiel nur allzu gerne mitspielt, weiß sich mit gestellter Naivität, viel Charme und weiblichen Reizen entsprechend zu präsentieren. Dank der äußerst mitfühlenden Reporterin Mary Sunshine (KJ Haupt) landet Roxie bald auf den Titelseiten der Boulevardmagazine und Tageszeitungen: „Roxie rocks Chicago!“

© Jeremy Daniel

Carmen Pretorius spielt die junge Antiheldin absolut hinreißend und ihre Darbietung überzeugt als Abbild reiner Unschuld ebenso wie als Vamp mit Geltungssucht und Starallüren. Dass sie der zweiten Gefängnis-Diva Velma Kelly (Samantha Peo) – einst die „Top-Mörderin der Woche“ – schnell die Schau stiehlt, wird so mehr als verständlich. Aus dem famos miteinander harmonierenden Ensemble ragen neben Pretorius noch Craig Urbani als Billy Flynn und vor allem in der zweiten Hälften Grant Towers als gehörnter Ehemann Amos heraus. Urbani besticht mit einer extrem starken Ausstrahlung und einer enormen Bühnenpräsenz, mit der er seine Szenen dominiert. Im krassen Gegensatz zur Figur des Anwalts ist Amos Hart als blasser, unsichtbarer Niemand angelegt. Dennoch gelingt es Towers, aus der eindimensionalen Rolle einen echten Sympathieträger zu formen, um schließlich sogar als „Mr. Cellophane“ vom Publikum gefeiert zu werden.
Komplettiert wird der großartige Gesamteindruck noch durch ein gelungenes Lichtdesign und die sehr geschmackvollen Kostüme, die nie billig wirken und dennoch ihren Beitrag zur sinnlich-verruchten Atmosphäre beitragen.

Am Ende steht ein äußerst unterhaltsamer Theaterabend; ein Augen- und Ohrenschmaus, der leider nur bis zum 11. August in München zu sehen ist! Für Musical-Fans ein absolutes Muss!

Kritik: Hans Becker